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Erwärmungskurven von unbekleideten Stahlprofilen nach Eurocode 3


2021.09.25 / PSC


Zeitschrittverfahren

Erwärmungskurven für unbekleidete Stahlprofile können mit dem Zeitschrittverfahren nach EN 1993-1-2 Ziffer 4.2.5.1 berechnet werden. Das Verfahren ermöglicht die Berechnung der Veränderung der Stahltemperatur in einem Zeitschritt, \(\Delta t\) in Abhängigkeit der vorgegebenen Lufttemperatur.

\[ \Delta \theta_{a,t} = k_{sh}\frac{A_m/V}{c_a \rho_a}\dot{h}_{net}\Delta t \]

Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über Terme, welche in der Formel des Zeitschrittverfahrens vorkommen. Dazu werden auch die entsprechenden Normverweise angegeben:

 

Parameter Beschreibung Norm
\(A_m/V\) Profilfaktor EN1993-1-2 Tab. 4.2
\(k_{sh}\) Abschattungsfaktor EN1993-1-2 (4.26a) / (4.26b)
\(c_a\) Spezifische Wärmekapazität EN1993-1-2 3.4.1.2
\(\rho_a\) Rohdichte Stahl EN1993-1-2 3.2.2 (1)
\(\dot{h}_{net}\) Nettowärmestrom EN1991-1-2 3.1 (2)
\(\Delta t\) Zeitschritt  EN1993-1-2 4.2.5.1 (4)

 

Profilfaktor

Eine wichtige Kenngrösse in Zeitschrittverfahren ist der Profilfaktor \(A_m/V\), der als Verhältnis von der dem Brand ausgesetzten Oberfläche und dem Volumen des Stahlprofils definiert ist. Je grösser der Profilfaktor, desto schneller erwärmt sich ein Profil im Brandfall. Das Verhältnis von der dem Brand ausgesetzten Oberfläche zum Volumen ist bei konstanten Querschnitten gleich dem Verhältniss von dessen Umfang zur Querschnittsfläche (entspricht einer Division durch die Länge des Profils).

Beispiel: Profilfaktor für ein IPE 200

Die Querschnittsabmessungen und -eigenschaften können aus einer Stahlbautabelle abgelesen werden:

Parameter Beschreibung IPE200 Einheit
\(b\) Breite 100 \(mm\)
\(h\) Höhe 200 \(mm\)
\(t_w\) Stegdicke 5.6 \(mm\)
\(t_f\) Flanschdicke 8.5 \(mm\)
\(A\) Fläche 2850 \(mm^2\)
\(U_m\) Mantelfläche 0.768 \(m^2/m\)

Der Profilfaktor für das allseitig beflammte IPE200 Profil beträgt:

\[ \left[ \frac{A_m}{V} \right] = \left[ \frac{U}{A} \right] = \left[ \frac{768'000}{2850} \right] = 269m^{-1} \]

 

Abschattungsfaktor

\(k_{sh}\)  bezeichnet den sogenannten Abschattungsfaktor, der berücksichtigt, dass sich verzweigte Querschnitte, wie beispielsweise I-Profile, langsamer erwärmen als kreisförmige oder rechtecklige Hohlprofile mit äquivalentem Profilfaktor. Der Abschattungsfaktor ist definiert als Verhältnis der Profilfaktoren des gedachten, profilumschliessenden Rechteckquerschnitts und dem Profilfaktor des Profils selbst. Bei I-Profilen darf der Abschattungsfaktor zusätzlich um 10% reduziert werden:

Profile Abschattungsfaktor
I-Profile \(k_{sh}=0.9\cdot \left[\frac{A_m}{V}\right]_b / \left[ \frac{A_m}{V} \right]\)
übrige Profile

\(k_{sh}=\left[\frac{A_m}{V}\right]_b / \left[ \frac{A_m}{V} \right]\)

 

Für allseitig beflammte Querschnitte wie rechteckige Hohlprofile oder Rohrprofile ist der Abschattungsfaktor \(k_{sh}=1.0\)

Für den Profilfaktor unter Berücksichtigung der Abschattung gilt:

\( \left[ \frac{A_m}{V} \right]_{sh} = k_{sh} \cdot \left[ \frac{A_m}{V} \right] \)

Das Subskript "sh" steht dabei für "shadow". Je nach Profiltyp gilt somit:

Profile Profilfaktor unter Berücksichtigung der Abschattung
I-Profile \( \left[ \frac{A_m}{V} \right]_{sh} = 0.9 \cdot \left[ \frac{A_m}{V} \right]_b \)

rechteckige oder runde Hohlprofile

\( \left[ \frac{A_m}{V} \right]_{sh} = \left[ \frac{A_m}{V} \right]  \)

 

Beispiel: Abschattungsfaktor für ein unbekleidetes IPE200 Profil

Der Profilfaktor des gedachten, profilumschliessenden Kastenquerschnitts beträgt:

\( \left[ \frac{A_m}{V} \right]_b = \left[ \frac{2\cdot(b+h)}{V} \right] = \left[ \frac{2\cdot(100+200)}{2850} \right] = 210m^{-1} \)

\( \left[\frac{A_m}{V} \right] = \left[ \frac{768'000}{2850} \right] = 269m^{-1} \)

Der Abschattungsfaktor ist das Verhältnis der beiden zuvor berechneten Terme und darf zusätzlich um 10% reduziert werden bei I-Profilen:

\(k_{sh}=0.9\cdot \left[\frac{A_m}{V}\right]_b / \left[ \frac{A_m}{V} \right] = 0.90\cdot 210/269 = 0.781 \)

 

Spezifische Wärmekapazität

Die spezifische Wärmekapazität ist eine Funktion der Stahltemperatur und in EN1993-1-2 3.4.1.2 definiert.

 


Dichte

Die Dichte von Stahl ist unabhängig von der Temperatur und beträgt:

 \[ \rho_a = 7850 kg/m^3 \]

 

Nettowärmestrom

Der Nettowärmestrom berechnet sich nach EN1991-1-2 (3.1) wie folgt:

\( \dot{h}_{net} = \dot{h}_{net,c} + \dot{h}_{net,r} \)

Der Nettowärmestrom besteht aus einem Anteil durch Strahlung (r=radiation) und Konvektion (c=convection):

\( \dot{h}_{net,c} = \alpha_c \cdot (\Theta_g - \Theta_m) \)

 

Parameter Beschreibung Wert Einheit
\( \alpha_c \) Wärmeübergangskoeffizient 25 W/m2K
\( \Theta_g \) Lufttemperatur in der Umgebung des Bauteils var. °C
\( \Theta_m \) Oberflächentemperatur des Bauteils var. °C

 

\( \dot{h}_{net,r} = \Phi \cdot \varepsilon_m \cdot \varepsilon_f \cdot \sigma \cdot \left[(\Theta_r + 273)^4-(\Theta_m + 273)^4\right] \)

Parameter Beschreibung Wert Einheit
\( \Phi \) Konfigurationsfaktor \( 1.0 \) \( - \)
\( \varepsilon_m \) Emissivität der Bateiloberfläche \( 0.7 \) \( - \)
\( \varepsilon_f \) Emissivität des Feuers \( 1.0 \) \( - \)
\( \sigma \) Stephan-Boltzmann-Konstante \( 5.67 \cdot 10^{-8} \) \( W/m^2K \)
\( \Theta_r \) wirksame Strahlungstemperatur var. °C
\( \Theta_m \) Temperature der Bauteiloberfläche var. °C

 

Keywords
Stahlbau Brandschutz EN1993-1-2 Eurocode 3 Brandbemessung